Freitag, 23. Oktober 2015

The first night of autumn came too soon

Mein alter Freund, die Axt im Kopf,
bricht mir, aus Angst mich zu verlieren,
die beiden bleichen Beine;
und als dem Tag sein Ende naht,
liegt mein Körper, leise lächelnd –
am eig'nen Blut ersoffen –
in den dunklen Gassen dieser Stadt.

Freitag, 16. Oktober 2015

Blinkendes Warnblinklicht

Eigentlich
wollte ich
darüber schreiben,
wie der
aufgrund einer Sekunde
der Unachtsamkeit
seit gestern
mahnend offen klaffende Riss
in dem grauen Betonklotz
rund um das brodelnde Meer in mir
ausreicht
ganze Generationen
grenzdebiler Kleinstadtspießer
aufs brutalste zu ersaufen
und wie alles tobt und kocht
und drückt und zuckt
und gewaltsam aus mir bricht.

Ja,
genau darüber
wollte ich eigentlich
schreiben,
als ich so
mit dem Wagen
durch die Nacht fuhr
und mich irgendwie
frei
oder erwachsen,
vielleicht auch
einfach nur
ein bisschen cool
gefühlt habe -
bis zu dieser roten Ampel,
direkt an der Autobahn
in Richtung Hennef
oder Köln,
als ich bremste
und der Wagen
dann laut knackte,
unter Rauchschwaden
den Dienst quittierte.

Jetzt schreibe ich
stattdessen darüber,
dass kein Mensch
auf dieser Welt
netter zu dir ist,
als der Mann
am andern Ende,
der zweihundert Euro verdient,
weil er Donnerstagnacht,
so zwischen eins und zwei,
einen Typen
aus der Werkstatt schickt,
der dir dann den Wagen
direkt vor die Haustür schleppt.

Als ich schließlich
in lachhaft großer Warnweste
versinkend,
mit fleckiger Jogginghose
über den bleichen Beinen
und im Morast feststeckenden
roten Slippern
an den Füßen
mehrmals vergeblich
nach der Hand
des fetten Typen greife
und dabei
wieder und wieder
unverständlich stotter,
wie glücklich ich doch sei,
wie verdammt
unfassbar
verfickt noch mal
glücklich ich doch sei,
fühle ich mich
weit weniger cool -
aber trotzdem
irgendwie
richtig gut.

Samstag, 3. Oktober 2015

Trashparty

Schön wieder hier zu sein.
Kaugummi kauend an die Wand gelehnt.
Das Stroboskop blitzt und alle tanzen wie in Zeitlupe.
Der Boden ist rutschig von dem verschütteten Bier -
und unter meinem Schuh klebt ein Kronkorken.

Hier ist nicht mehr mein Zuhause - hier bin ich nur noch Gast.

Keine Ahnung, ob das stimmt.
Entweder es geht gut, so wie es läuft, oder alles ist am Arsch.
Werd schon wach werden, wenn der Wagen irgendwann die Wand rammt.
Keine Ahnung, ob die Ruhe mich beunruhigt.
Vielleicht sind die Dinge auch einfach endlich gut.

Freitag, 2. Oktober 2015

Dorfjunge in Großstadt

Mittwochabend, Ferdinand Dunst zieht die Tür leise hinter sich zu und geht vorsichtig die Treppe hoch. Ein paar wenige Lichtstrahlen der untergehenden Sonne fallen durch die Fenster aus Milchglas hindurch ins Treppenhaus. Als ihm der Flur nach drei Stockwerken immer noch nicht vertraut vorkommt, entscheidet er sich, nach unten zu gehen. Vor der Haustür stehend, fällt ihm ein, dass er ohnehin nach draußen wollte.
  ,,Keine Ahnung, wie lange du jetzt da warst - zwei, vielleicht drei Tage? Dieses verfluchte Sofa ist aus Kaugummi - wenigstens wird es wieder dunkel - in acht Minuten kommt die Bahn - Fuck, du musst rennen.''
  Er hat seit Freitag nicht geschlafen und dachte demnach, ihm wäre sämtliche Kraft abhanden gekommen, ist dann aber angenehm überrascht, als er bei dem Versuch loszurennen bemerkt, dass sein Körper, eher taub als ausgelaugt, den ihm gegebenen Befehlen ohne Widerwillen gehorcht.
  In der Straßenbahn gucken die Menschen Ferdinand komisch an, weil er ein bisschen nach Scheiße, Schweiß und billigem Tabak riecht. Dazu kann er nicht aufhören, die Augen erschrocken aufzureißen, knirscht mit den Zähnen und tippt nervöse Kurznachrichten in das gesplitterte Display seines Handys.
  ,,Fuck - die Leute starren dich an - nein, das bildest du dir nur ein - noch zehn Minuten hier sitzen, dann kannst du wieder raus - immer dasselbe Affentheater - du solltest echt mal runterkommen - vielleicht in zwei drei Woche oder so - dieses unter der Woche durchmachen, macht dich echt fertig.''
  Die fast leere Bahn fährt über den Rhein, während sich am Horizont die letzten dünnen Sonnenstrahlen mit den frisch ins Dunkel sprießenden Neonreklamen zu einem bunten Brei vermischen.
  Als sich an der nächsten Haltestelle die Türen öffnen, springt er ein bisschen schneller, als unverdächtig gewesen wäre auf und eilt zum Ausgang.
  ,,Ich muss so dringend pissen, fuck, ich kann nicht mehr - wo ist denn hier eine verfickte Toilette, Scheiße - das ist alles so unendlich beschissen - welcher Tag ist heute überhaupt? schon wieder Mittwoch, oder? Ja - na immerhin, dann kannst du heute feiern gehen, geil - und dann ist auch schon fast wieder Freitag - und Sonntag wollte ich noch zu Steven - falls der nicht mit Gini in Aachen ist.''
  Mit immer noch ängstlich aufgerissenen Augen betritt Ferdinand ein Fastfoodlokal.
  Er starrt auf den Boden, während er eilig an den auf ihren Plastiksofas sitzenden Familien, Pärchen und Jugendlichen vorbei, in den hinteren Bereich, zu den Toiletten geht.
  Der schwarze Klomann sitzt, mit geschlossenen Augen, an die Wand gelehnt, auf einem kleinen Hocker. Ferdinand versucht sich an ihm vorbei zu schleichen, streift den Mann aber versehentlich am Bein, woraufhin dieser seinen Oberkörper aufrichtet, seine geröteten Augen aufschlägt und Ferdinand feindselig anstarrt.
  ,,Ey, Mann! 50 Cent!''
  Ferdinand ignoriert die ausgestreckte Hand, geht versteift an ihr vorbei und schließt sich in einer der freien Kabinen ein. Sein Schwanz ist von dem ganzen Speed so dermaßen verschrumpelt, dass er Angst hat, aus Versehen durch den Schlitz zwischen Klobrille und Toilettenschüssel hindurch zu pissen.
  Jedes mal, wenn er seine Augen auch nur für eine Sekunde schließt, blitzt ein gleißendes Licht auf, das ihm, von einem ohrenbetäubenden Knall begleitet, die Augenlider wieder nach oben reißt.
  Trotzdem redet er sich ein, er bräuchte bloß tief durchzuatmen, sich bloß ein kleines bisschen zu entspannen.
  ,,Komm schon Mann, du kennst das doch, hattest das alles schon hundert mal - jetzt guck nach vorn und entspann dich einfach - dir - kann - nichts - passieren! Guck dir einfach die Holzmuster auf der Tür hier an - ja, die Holzmuster - die immer gleichen - Holzmuster - hör auf zu denken! - die Holzmuster - nur Holzmuster - Mittwoch - Freitag - Sonntag - Holz - endlich feiern - endlich aufhören - endlich frei sein - endlich drauf sein - draufgehn - Kreislauf - Ende - Tod.''
  ,,EY MANN! MACH DIE SCHEIß TÜR AUF!''
  Der Klomann hämmert, wütend schreiend, mit beiden Fäusten gegen die Kabinentür.
Ferdinands Körper quittiert endgültig den Dienst. Er seufzt kurz, fummelt ein kleines Tütchen aus seiner rechten Socke, steckt einen abgeschnittenen Strohhalm hinein, führt die Konstruktion an sein linkes Nasenloch und snifft drei mal energisch, während er mit seinen klebrig-verschwitzten Fingern den rechten Nasenflügel zudrückt. Anschließend bindet er seine Turnschuhe, steht unbeholfen auf, zieht erst Unterhose, dann Hose hoch und schließt letztlich die Schnalle seines mittlerweile zu groß gewordenen Gürtels.
  Ferdinand entriegelt das Schloss, drückt die Klinke hinunter und presst sich mit seinem gesamten Gewicht sprunghaft gegen die Tür. Der überraschte Klomann wird schreiend nach hinten gestoßen, knallt mit dem Hinterkopf gegen die Wandkacheln, verfängt sich mit dem linken Arm in einem der Pissoirs und fällt mit lautem Knacken zu Boden.
  Ferdinand sprintet aus dem Herrenklo - greift im Vorbeilaufen noch hektisch mit seiner rechten Hand nach dem Kleingeldteller des Klomanns - sprintet weiter - durch den hinteren Bereich des Ladens - dann durch die Schiebetüren hindurch - zurück auf die Straße.
  Er sprintet und sprintet und sprintet (und sprintet und sprintet und sprintet).
  Die Stadt versinkt langsam in der ersten richtigen Herbstnacht, Blätter werden dunkelgelb, Ferdinand schlägt ein kalter Wind entgegen.
  ,,Fuck! Fuck! Fuck! Das war's jetzt - die kriegen dich - Fuck. - weg von hier!''
  Er rennt, wie ohne Willen; biegt in wahllos wechselnder Reihenfolge mal links, mal rechts ab; läuft durch fremde Straßen, blickt in verwirrte Gesichter.
  Nach ein paar Minuten verlangsamt sich sein Schritt - das Herz sticht, die Lunge brennt.
  Er lässt sich auf den Boden fallen und rollt sich neben der Auffahrrampe eines Parkhauses im Dunkeln zusammen.
  Wie er so halb verdreht auf dem Rücken im Dreck liegt, muss er unwillkürlich in Richtung Himmel starren. Keine Wolken, keine Sterne. Nur ein riesig großer, gierig funkelnder, fetter Vollmond, der sein Licht wie ein dickes dichtes Netz über die Stadt spannt.
  ,,Fuck, dein Herz, du musst dich beruhigen - hier draußen kriegen die dich - lieber ins Odonien - ja, schnell ins Odonien - Fuck, du hast keine Kohle mehr - aber wenn du vor dem Eingang 'n bisschen was verkaufst, passt das schon mit dem Geld ''
  Ferdinand bleibt ungefähr acht Minuten in einer schmerzhaft unbequem aussehenden Position liegen, richtet sich dann auf, klopft den Dreck von seinen Klamotten und fängt langsam an, zurück in Richtung Straßenbahn zu laufen. Seine Augen bleiben an einem beleuchteten Plastikbierkrug kleben.
  ,,Trinkhalle - Bier 1€ - von 6 bis 2 Uhr geöffnet.''
  Er steigt, die geklauten Münzen in seiner Hosentasche zählend, die Stufen zum Ladeneingang hinauf.
  ,,Zwei Reissdorf und ein Red Bull bitte.''
  ,,Junge, siehst du scheiße aus. Tu dir selbst und der Welt einen Gefallen und geh endlich pennen.''
 Ferdinand geht am Eingang des Clubs vorbei, hundert Meter weiter, dann über die Straße und den schmalen, von Brennnesseln übersäten Weg zu den Bahngleisen nach oben.
  Von Handytaschenlampen erleuchtet sitzen Jugendliche in mehren Kreisen und kratzen nervös Speedpaste hin und her.
  ,,Mach mal schneller Mann - wie lange noch? - ich will endlich wieder tanzen gehn - komm schon, geht das nicht 'n bisschen schneller? Puste mal, ich glaub das hilft - jetzt mach mal hinne - ich hab keine Lust mir 'ne scheiß Blasenentzündung zu holen, nur weil der Wichser uns nasse Paste verkauft hat!''
  Ferdinand denkt sich, dass es eigentlich keine schlechte Idee wäre, nach dem Pissen auch noch was zu ziehen - nur ein kleines bisschen. Dann verkauft er an zwei der Teenager etwas von seinem schlechten Speed und geht zurück in Richtung Club.
  Das Geld reicht gerade so für den Eintritt und ein paar Bier. Die Nacht über trifft Ferdinand, wie jeden Mittwoch - und jeden Freitag - und jeden Samstag - und jeden Sonntag - dutzende und aberdutzende der ewig gleichen, gesichts- sowie charakterlosen Teilzeitfreunde - die, wie immer, immer nur das gleiche reden - zieht zu viel, trinkt zu viel - viel zu viel.

  Aber was soll's - an dieser Stelle braucht man eigentlich nicht weiter von dieser Nacht zu berichten.
Wer das alles nicht kennt, wird's auch jetzt nicht verstehen - und wer's kennt, der weiß genau, welche stumpfe Idiotie, welche verlockend ins Nichts greifende Leere, welche seit gefühlten tausend Jahren gesprungene Platte in diese kalten Oktobernacht zum millionensten Mal aufgelegt worden ist.

  Morgens kriecht die Sonne dann, sich schon beinahe für das Pack schämend, dass an diesem dreckigen Donnerstagmorgen, von ihren zitternden Strahlen aufgedeckt werden wird, langsam zurück an den Himmel.
  Das größte Bordell der Stadt leuchtet golden, beinahe mystisch. Leute in dreckigen Klamotten sitzen, mit verklärtem Lächeln im Gesicht, auf dem Boden herum. Ferdinand trägt eine Sonnenbrille, trinkt Bier und schaut über die Dachkante des Bordells hinweg, auf die dahinter erwachsende Sonnenkugel.
  Langsam weicht die Kälte, eine angenehm frische Brise streicht, durch die verätzten Nebenhöhlen hindurch, das leergedrogte Gehirn.

  ,,Hier ist es schön - hier will ich bleiben!''

Die Stimmen ficken meinen Kopf

Der Körper beginnt zu beben. Erst ganz weit unten, irgendwo tief drinnen, dann langsam in den äußeren Schichten, bis Beine und Füße zu zittern anfangen. Obwohl seit zwei Tagen niemand mehr aus diesem Bett aufgestanden ist, haut das Gefühl wirklich alles von den Beinen. Die Luft kann gerade noch angehalten werden, um das Schreien in der Kehle zu ersticken. In den Ohren hallt das Geräusch von splitterndem Porzellan nach. Der Mund reißt sich, wie ohne Willen, deformiert auf, die Lippen hängen lächerlich weit auseinander. Das Zittern pulsiert, explodiert, bricht aus irgendwem heraus. Die Hände rudern verzweifelt durch die Luft, suchen Halt, graben sich tief in Augenhöhlen und Mund.
Ich habe so eine scheiss Angst davor dich sterben zu sehen. Und ich habe eine scheiss Angst davor selber drauf zu gehn.
Jetzt bleibe ich nachts wach, heule heimlich und hoffe dass es keiner mitbekommt.