Donnerstag, 30. März 2017

R. S.

Es ist lustig, wie sehr mein alter Herr
in seiner Welt festhängt,
wie wenig überzeugend vermittelt,
dass er wirklich fühlt, und gerne,
ach so gerne –
wenn er doch nur könnte –
ein kleines bisschen helfe.

Und ich tue es ihm gleich,
mit meinem stundenlang ins Leere Starren,
dem wochenlang allein Rumtreiben.

Absurd, wie zwei so gleichermaßen
sich sowie dem andern Fremde
sich an den Rändern ihres Einsamseins
beinahe zu berühren scheinen –
es in Wahrheit doch nie tun –
dabei dieselbe Seele sind.

Mittwoch, 29. März 2017

Drei Kreuze

Der Ernst des Denkens fällt mich an:
Die Liebe zur Vernunft –
sonst nichts auf dieser kranken Welt –
sie bleibt mir heilig.

Die Axt in meinem Kopf II

Plötzlich bricht da aus mir raus,
der Grund des Seins der Axt im Kopf –
der wieder und wieder erwachsende,
mit jedem Atemzug pulsierende,
gordische Knoten,
den mein verdrehtes Ich,
verzweifelt um Luft ringend, so zwanghaft zu zerschneiden sucht;
doch damit nichts als scheitern kann
und scheitern muss.

Ein paar letzte Zigaretten auf dem Balkon;
ein Krankenwagen fährt vorbei –
alles seltsam bedeutungsschwanger.

Mittwoch, 22. März 2017

Die Sicht des Ichs als Ich

Ich stehe barfuß auf dem Balkon und rauche. Die letzten sieben Tage eines sehr verwirrenden Jahres.
Die kahlen Bäume vor dem Versicherungsgebäude gegenüber sehen im goldenen Licht der zwischen ihren langen dürren Ästen verwachsenen Laterne ein bisschen aus, wie ausgedorrte Lungenbläschen. Die Straße atmet flach und ruhig, liegt ganz friedlich da, während ein mattschwarzer Mercedes, mit leise laufendem Motor, eine halbe Ewigkeit artig an der roten Ampel wartet. In der Etage über mir hört man vereinzelt Schritte. Gerade wurde irgendwo eine Balkontür aufgestoßen. Im Hintergrund leuchten, rot blinkend, die weit in den Himmel hineinragenden Industrieschornsteine Wesselings; pusten graue Nebelwolken in die kalte klare Nacht. Ein Fahrrad fährt, mit surrendem Licht, klappernd die Hauptstraße entlang; und ich denke dankbar an die Mädchen, mit denen ich hier, in diesem Jahr, nachts auf dem Balkon gestanden, geredet und geraucht, die Einsamkeit ein wenig vergessen habe. Kurz drängen sich, aus der Dunkelheit hervorbrechend, die viel zu vielen endlos langen, und dann doch auf unbestimmte Zeit im Nichts verschwindenden, durchgemachten Nächte auf; verlieren sich, genauso schnell, in ihrer schrägen Weltfremdheit. Der Beton unter meinen Füßen lässt mich unangenehm schnell auskühlen; ich gehe kurz zurück nach drinnen, ziehe meine neuen, mir so schnell so sehr ans Herz gewachsenen, braunen Hausschuhe an.
Plötzlich: Erinnerungen an mein altes Kinderzimmer, im ersten Stock, in dem ich früher, in endlos langen warmen Sommernächten, genauso schlaf- wie traumlos, wachlag, während der Zigarettenrauch meiner auf der Haustürtreppe rauchenden Mutter durch die hölzernen Fensterläden und die viel zu dünnen, einfachverglasten Fenster hindurch hineinzog.
Als Kind habe ich immer lange wachgelegen und den blinkenden Lichtern der am Horizont vorbeiziehenden Flugzeuge hinterhergeschaut, während das Flurlicht durch die nur leicht angelehnte Zimmertür hindurch ein schmales helles Dreieck in die Dunkelheit des Raumes malte.
Ich habe in diesem Leben nichts beruhigenderes erlebt.
Deswegen habe ich auch heute Abend die Balkontür offen stehen gelassen, um jetzt, erneut im Bett liegend, ein kleines bisschen Restzigarettenrauch, in der Wohnung, dieses fast vergessene, vergilbte Gefühl heraufbeschwören zu lassen.
Bald wird das alte Haus abgerissen, und diese eine, ganz konkrete Perspektive, der Blick aus dem großen Küchenfenster auf die im Hintergrund in den Himmel hineinragenden Baumkronen, wird sich, wie so vieles hier, auf Nimmerwiedersehen im Nichts verlieren; auch wenn die Bäume selbst ja stehenbleiben, nur dann bloß gänzlich unbetrachtet, für keinen Geist der Welt von Wert.
Und irgendwie fühl' ich mich seltsam ruhig; meine Getriebenheit verliert sich, ohne großes Klagen, in dieser ersten, noch recht kalten Frühlingsnacht, und ich bin mir sicher, dass wenn morgen früh der Wecker schellt, die Sonne scheint, und Vögel singen, und alles seltsam wirklich ist.

Freitag, 10. März 2017

Keine Schuhe an den Füßen dafür Ouzo im Arm

Ich kleb schon wieder regungslos vorm Rechner,
während hinter zugezogenen Vorhängen
verregnete Tage und verregnete Nächte
unbemerkt vorbeiziehen;
hätte eigentlich zwanzig Seiten über meinen heißgeliebten Hegel zu schreiben
und das uferlose Meer aus Dreck und Müll und Pfand,
mosesgleich, mit ein-zwei Schneisen, Richtung Küche, Flur und Bad
zu teilen und mich endlich darum zu kümmern, schnellstmöglich aus
diesem schmerzhaft sterilen Wohnheim auszuziehen
und mir mehr Mühe zu geben, Dir zu zeigen, dass ich Dich mag –
und auch wenn ich genau das seit Jahrmillionen schreibe,
wohl am Ende immer in meinem sturen Kopf stecken bleibe –
ist trotz allem alles weiterhin so seltsam ruhig und seltsam klar –
und irgendwie bin ich mir sicher,
dass, auch wenn es sich wird zeigen müssen, die Dinge langsam besser werden.